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Step iii ethiopia training

Kapazitätenentwickung für Gesundheitspersonal in fragilen und konfliktbelasteten Kontexten: Lernerfahrungen der deutschen EZ

Bei einer Fortbildung des STEP III Vorhabens in Äthiopien. Copyright: GIZ

Menschen in fragilen und in Konflikt-Kontexten brauchen dringend funktionierende Gesundheitsdienste. Technische Zusammenarbeit muss hier zwei Ziele verfolgen: die Deckung unmittelbarer Bedarfe und den Aufbau nachhaltiger Systeme. 

„Die Herausforderung für die technische Entwicklungszusammenarbeit in fragilen und von Konflikten betroffenen Staaten besteht darin, dass sowohl die Grundversorgung für die Bevölkerung sichergestellt, als auch – inmitten dysfunktionaler Systeme – nachhaltige Strukturen entwickelt werden müssen. Mit diesem Zielkonflikt müssen Vorhaben in diesen Kontexten ständig umgehen.“ So die Beraterin Dr. Eva Tezcan, die die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) dabei unterstützt hat, Lernerfahrungen von Deutschland unterstützter Vorhaben zur Kapazitätenentwicklung in den Gesundheitssystemen der Demokratischen Republik Kongo, Äthiopiens, Iraks, Libyens, Syriens und Jemens zusammenzutragen. 

Dieser Artikel stützt sich auf Dr. Teczans Erkenntnisse sowie auf zusätzliche Interviews mit den Teams weiterer von Deutschland unterstützter Vorhaben in Afghanistan, Äthiopien und Libyen.

Fragilität ist eine zentrale Herausforderung für die Entwicklungszusammenarbeit

Aktuell leben mehr als 1,5 Milliarden Menschen in fragilen und konfliktbelasteten Staaten, die nur über eingeschränkte institutionelle Kapazitäten verfügen und nur begrenzt in der Lage sind, ihrer Bevölkerung grundlegende Dienstleistungen zu bieten. Die Mehrheit dieser Länder ist zudem von den Auswirkungen aktiver Waffengewalt betroffen (Bousquet 2022). 

Im Jahr 2022 lebten etwa drei Viertel (73 Prozent) der Menschen, die in extremer Armut leben, in fragilen Kontexten, und die Zahl der Länder, die weltweit als fragil und konfliktbetroffen eingestuft werden, nimmt weiter zu. Diese Entwicklung hängt mit klimabedingten Krisen, Ernährungsunsicherheit und politischer Instabilität zusammen und verstärkt Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern.

Funktionsfähige Gesundheitssysteme sind von entscheidender Bedeutung für die Stärkung der Resilienz von Menschen, die mit multiplen Krisen umgehen müssen. Die Entwicklung der Kapazitäten des Gesundheits- und Verwaltungspersonals ist wesentlicher Bestandteil der Stärkung von Gesundheitssystemen in allen Ländern, jedoch in fragilen Kontexten besonders wichtig. Ihre Komplexität und Volatilität stellt jedoch eine zentrale Herausforderung für die Entwicklungszusammenarbeit dar (BMZ 2019).

Umgang mit komplexen Dilemmata

In fragilen Kontexten sind Vorhaben, die die Kapazitäten des Gesundheitspersonals ausbauen sollen, mit komplexen Dilemmata konfrontiert. Immer wieder müssen sie abwägen, wie sie einerseits den Zugang zu qualitativ hochwertigen Gesundheitsdiensten gewährleisten und gleichzeitig zum längerfristigen Aufbau von Institutionen und zur Stärkung des Gesundheitssystems beitragen können. 

Der von der GIZ in Auftrag gegebene Bericht Capacity Development in Situations of Conflict and Fragility aus dem Jahr 2015 benennt eine Reihe von Dilemmata, die sich nicht kurzfristig mit einer Entweder-Oder-Entscheidung lösen lassen, sondern kontinuierliches Abwägen und gut überlegte Kompromisse erfordern. Im Folgenden werden einige dieser Dilemmata anhand von Beispielen aus Afghanistan, Äthiopien und Libyen untersucht.

Zusammenarbeit mit externen Partnern versus Stärkung staatlicher Institutionen

In Situationen, in denen humanitäre Hilfe benötigt wird, geht es oft zunächst darum, die Grundversorgung wiederherzustellen, um die unmittelbaren Bedürfnisse der Bevölkerung zu erfüllen. Wo Staaten nicht mehr in der Lage sind, dies zu leisten, können Entwicklungspartner auf internationale Nichtregierungsorganisationen (NRO) oder private Dienstleister zurückgreifen, um schnell Ergebnisse zu erzielen. Jedoch sollte eine solche Zusammenarbeit mit externen Partnern lokale Lösungen weder ersetzen noch lokale Partner mit dem Umfang der geleisteten Unterstützung überfordern.

Als das von Deutschland unterstützte Projekt „Verbesserung der primären Gesundheitsversorgung“ in Libyen anlief, stellte die Kombination bewaffneter Konflikte und der COVID-19-Pandemie das Projektteam vor akute Herausforderungen bei der Zusammenarbeit mit dem libyschem Gesundheitspersonal und mit libyschen Gemeinden. Im Einvernehmen mit dem libyschen Gesundheitsministerium arbeitete das Projekt daher mit der humanitären NRO International Medical Corps (IMC) zusammen, die Erfahrung mit der Bereitstellung von berufsbegleitender Ausbildung, grundlegender Ausrüstung und Medikamenten in fragilen Kontexten hat.

Wenn die Unterstützung dann von humanitärer Hilfe in Übergangs- und Entwicklungszusammenarbeit übergeht, sollte der Aufbau von Kapazitäten nationaler Expert*innen Vorrang haben, sagt Randa Shinkada, die als technische Beraterin für das Projekt in Libyen tätig ist.

Wir arbeiten jetzt bei der Kapazitätenentwicklung mit nationalen Expertinnen zusammen. Sie kennen die Kultur und die Gemeinden gut und wir entwickeln dabei auch ihre Fähigkeiten. Dies ist nachhaltiger und effektiver, als externe Expertinnen hinzuzuziehen.

Randa Shinkada, Verbesserung der primären Gesundheitsversorgung, Libyen

Trotz der nach wie vor schwierigen Rahmenbedingungen in Libyen verfolgt das Projekt entschlossen sein Ziel, das Gesundheitssystem zu stärken, indem es Managementkompetenzen auf Einrichtungs-, Bezirks- und nationaler Ebene verbessert.

Nutzung externen Fachwissens versus Stärkung lokaler Kapazitäten

Christian Möller, der Leiter der Komponente Ausbildung von Gesundheitsfachkräften des von Deutschland unterstützten Projekts Sustainable Training and Education Programme (STEP) III in Äthiopien, erklärt, dass auch in Kontexten, in denen es nicht um humanitäre Hilfe geht, der Einsatz externer Partner zur Kapazitätenentwicklung eine geeignete – wenn auch zeitlich begrenzte – Strategie sein kann, z. B. wenn sehr schnell mit der Umsetzung von Maßnahmen begonnen werden muss.

Als unser Vorhaben gerade erst losging, bot uns unser Durchführungspartner JHPIEGO direkt eine gute Lösung an. Das Lernen online war derzeit in Äthiopien bereits weit verbreitet, so dass wir viele Menschen dafür gewinnen konnten, sich am E-Learning zu beteiligen.

Christian Möller, STEP III, Äthiopien

Das STEP-III-Projekt konzentriert sich nun darauf, sowohl kurzfristige Fortbildungsleistungen als auch längerfristig institutioneller Stärkung zu schaffen, indem es beispielsweise die Fähigkeiten des lokalen Personals ausbaut, um Ausbildungspläne für biomedizinische Techniker und Krankenschwestern zu entwickeln und die Fähigkeiten des medizinischen Personals zu verbessern, damit es innerhalb des äthiopischen Gesundheitssystems eine höhere Führungsrolle übernehmen kann.

A female biomedical technician instructor at Tegebare-id poly Technique College, Ethiopia STEP III
Eine Ausbilderin für Biomedizintechnik am Tegebare-id polytechnic College, Äthiopien STEP III

Matthew Rodieck ist Berater für das von Deutschland unterstützte Projekt „Promoting Technical and Vocational Education and Training (TVET) in Afghanistan“, das eine Gesundheitskomponente zum Aufbau der Kompetenzen von Hebammen beinhaltet. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung unterstreicht Matthew, wie wichtig es ist, neben technischen Fertigkeiten auch das Selbstvertrauen des lokalen Personals zu stärken, um es zu befähigen, sich proaktiv in Diskussionen mit internationalen Kolleg*innen einzubringen. 

Kurzfristige Inputs versus längerfristige Stärkung des Gesundheitssystems 

In fragilen und konfliktreichen Situationen konzentrieren sich die Maßnahmen zum Aufbau von Gesundheitspersonal häufig auf die Ausbildung von Gesundheitspersonal und Technikern an ihrem Arbeitsplatz oder in Schulungseinrichtungen. Während diese kurzfristigen Maßnahmen die Qualität der Leistungserbringung verbessern sollen, darf die die Notwendigkeit einer umfassenderen strukturellen und institutionellen Stärkung der Gesundheitssysteme nicht aus den Augen verloren werden. Kurzfristige Interventionen sollten idealerweise immer mit Blick auf längerfristige Ziele durchgeführt werden.

In Libyen beispielsweise funktioniert das Registrierungssystem für Ärzte nicht, und die Systeme für Gesundheitsinformationen und Personalverwaltung sind schwach. So soll es viel „Geisterpersonal“ auf der Gehaltsliste der Regierung geben – d. h. Gesundheitsfachkräfte, die entweder gar nicht existieren oder nicht in einer öffentlichen Einrichtung arbeiten. Ohne verlässliche Informationen über die Anzahl und die Art des Gesundheitspersonals sowie deren Standorte können die Mittel, die für Ausbildung zur Verfügung stehen, nicht effizient verwaltet werden.

Um diese Lücke zu schließen, sammelte das Projekt grundlegende Informationen über das gesamte Gesundheitspersonal der unterstützten Einrichtungen. Die Daten wurden an die jeweiligen Gesundheitseinrichtungen zurückgemeldet und auch den lokalen Gesundheitsbehörden und dem Gesundheitsministerium zur Verfügung gestellt, damit diese ihre Fortbildungsmaßnahmen gezielter ausrichten und besser verfolgen können. Laut Manuela Peters, Projektleiterin in Libyen, hofft das Projekt, dass diese Daten eines Tages in ein nationales Informationssystem für die Verwaltung der Humanressourcen im Gesundheitssektor einfließen.

Als Vorhaben der Übergangshilfe arbeiten wir nahe an den Gemeinden und unterstützen, in Zusammenarbeit mit dem libyschen Gesundheitsministerium, lokale Gesundheitsbehörden bei Verwaltungsaufgaben. Wir hoffen, dass wir damit einen Beitrag zu den neuen Strategien des Gesundheitsministeriums leisten.

Manuela Peters, Verbesserung der primären Gesundheitsversorgung, Libyen
Primary Health Care Project, Libya
Bei einem Workshop des Vorhabens zur Verbesserung der primären Gesundheit in Libyen.

Technische versus politisch sensible Vorgehensweisen

Auch wenn es einfacher sein mag, sich auf die technischen Aspekte der Kapazitätsentwicklung zu konzentrieren, erfordert die Arbeit in fragilen Kontexten ein gutes Verständnis der politischen Ökonomie. Derick Brinkerhoff, der das oben genannte Konzept der Dilemmata für die EZ in fragilen Kontexten entwickelte, schreibt: „Langfristige Ergebnisse hängen von der undurchsichtigeren, weniger messbaren und weniger handhabbaren Sphäre der politischen Ökonomie und der Machtdynamiken ab“ (Brinkerhoff 2007, S.20).

In Afghanistan begrenzt die eingeschränkte Bewegungsfreiheit von Frauen ihren Zugang zu Ausbildungen, zum Erwerbsleben und zur Hebammenbetreuung, was das Leben von Müttern und ihren Neugeborenen gefährdet. Das TVET-Projekt hat sich auf diese Situation eingestellt: In Zusammenarbeit mit dem erfahrenen lokalen Durchführungspartner AABRAR (Afghan Amputees for Bicycle Rehabilitation And Recreation) lernen die Hebammen den Umgang mit Tablets, geben während ihrer Arbeit in der Gemeinde grundlegende Daten ein und treffen sich anschließend mit ihren Vorgesetzten, um die Daten zu überprüfen und hochzuladen und die Behandlung schwieriger Fälle zu besprechen. Die Ehemänner der Hebammen werden in der Zwischenzeit als Hebammenhelfer angestellt und geschult, um die Männer in der Gemeinde für sichere Entbindungen zu sensibilisieren. So können die Frauen sicher mit ihren Ehemännern reisen.

„Emergente“ versus vorab geplante Vorgehensweisen

Entwicklungsorganisationen sind ihren Auftraggebern gegenüber rechenschaftspflichtig und müssen anhand vorab vereinbarter Indikatoren darlegen, inwieweit die unterstützten Maßnahmen ihre Ziele erreichen. Die Arbeit in fragilen und konfliktbetroffenen Kontexten erfordert jedoch große Flexibilität, um alle Gelegenheiten zur Kapazitätsentwicklung nutzen zu können.

Eine solche emergente Arbeitsweise erfordert ein entsprechend flexibles Monitoring-System. In Afghanistan, wo sich die Politik häufig ändert und die Beschränkungen von Ort zu Ort unterschiedlich sein können, sagt TVET-Berater Matthew Rodieck: „Wir brauchen nicht nur einen Plan B, sondern auch Pläne C, D und E. Unsere Abhängigkeit von lokalen Durchführungspartnern bedeutet, dass unsere Möglichkeiten, die konkrete Umsetzung zu verfolgen begrenzt sind. Wir sind auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den lokalen Partnern angewiesen.“ 

Um über Aktivitäten berichten zu können, brauchen wir transparente, kohärente Nachweise darüber, was die Partner tun, und das braucht Zeit und vertrauensvolle Arbeitsbeziehungen. Die Indikatoren für unsere Arbeit müssen daher flexibel sein und unsere Erwartungen realistisch.

Matthew Rodieck, Förderung der Berufsbildung in Afghanistan

Während der COVID-19-Pandemie in Libyen wurde ein großer Bedarf an Interventionen im Bereich der psychischen Gesundheit und psychosozialen Unterstützung (MHPSS) deutlich. Das Projekt nahm dies als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Schulungsprogramms für Ärztinnen der Primärversorgung, Krankenschwestern und Gemeindegesundheitsarbeiterinnen in psychosozialer Erster Hilfe und Notfallversorgung.

Participants with their MHPSS training certificates, Primary Health Care Project, Libya
Libysche Teilnehmer*innen mit ihren MHPSS-Ausbildungszertifikaten

Das Team war überrascht, dass trotz des Stigmas, mit dem psychische Erkrankungen in Libyen behaftet sind, die Nachfrage nach diesen Diensten hoch ist. In Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium wurden daher psychosozialer Basisdienstleistungen in den Gesundheitseinrichtungen eingeführt und eine MHPSS-Kontaktperson für jede Region des Landes geschult. 

Wie Kapazitätenentwicklung dabei helfen kann, Vertrauen wiederherzustellen

Mangelndes Vertrauen ist ein wesentliches Merkmal von Konfliktsituationen und Fragilität: Vertrauen fehlt zwischen Regierungen und ihren Bürger*innen, zwischen Dienstleister*innen und den Gemeinden, und zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Die Entwicklung der Kapazitäten des Gesundheitspersonals kann dazu beitragen, die Vertrauensbeziehung zwischen Gemeinden und ihren Gesundheitseinrichtungen wiederherzustellen. 

Die Stärkung des Vertrauens der Bevölkerung in die Leistungserbringer kann sich sogar auf die allgemeine politische Lage auswirken. In Libyen, wo es im Osten und Westen zwei Regierungen gibt, hat das Projekt zur Verbesserung der primären Gesundheitsversorgung hart daran gearbeitet, das durch den Konflikt beschädigte Vertrauen zwischen den Gemeinden und ihren Gesundheitszentren sowie zwischen den lokalen und nationalen Gesundheitsbehörden wiederherzustellen. Unsere Schulungs- und Workshop-Veranstaltungen bringen Mitarbeiter des Gesundheitswesens mit ihren Fachkollegen sowie mit Gesundheitsfachkräften der Gemeinden aus den westlichen, südlichen und östlichen Regionen zusammen, die manchmal miteinander in Konflikt stehen“, sagt Manuela Peters. Dies schafft eine gemeinsame Grundlage für Diskussionen und hilft den Teilnehmern, die Situation des anderen zu verstehen.

Schwierig, aber machbar

Für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit im Gesundheitsbereich belegen die oben genannten Erfahrungen, dass es möglich ist, in schwierigen Kontexten sowohl lokale Kapazitäten als auch Gesundheitssysteme als Ganze zu stärken. Eva Tezcan stellt richtig fest, dass „die Arbeit in fragilen Kontexten wirklich extrem schwierig ist. Die Entwicklungszusammenarbeit arbeitet viel mit bewährten „good practices“, die in fragilen Situationen jedoch nur begrenzt anwendbar sind. Wir sind noch dabei, zu lernen, was in fragilen und Konflikt-Kontexten am besten funktioniert.“

Angesichts der aktuellen Weltlage, die von zunehmenden politischen Spannungen, offenen Konflikten, Wirtschafts- und Klimakrisen geprägt ist, können wir davon ausgehen, dass immer mehr von Deutschland unterstützte Vorhaben zur Kapazitätsentwicklung im Gesundheitsbereich in fragilen und konfliktreichen Situationen durchzuführen sind. Auch in Zukunft sollten solche Vorhaben so flexibel, innovativ und Resilienz-fördernd arbeiten, wie es die Vorhaben in Afghanistan, Äthiopien und Libyen vorgelebt haben.

Corinne Grainger,
September 2023

© GIZ Ethiopia/Yonas Tadesse
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