Ein guter Start ins Leben für Neugeborene in Tansania
Mit einem bewährten Ansatz erhöht das tansanisch-deutsche Gesundheitsvorhaben die Überlebenschancen Neugeborener in zwei neuen Regionen
So sanft wie möglich wird die lebenswichtige Nadel in die mikroskopisch kleine Vene geschoben und die Sauerstoffmaske über den nach Luft schnappendem Mund und die kleine Nase gestülpt. Das Klopfen in der winzigen Brust wird stärker, der Monitor zeigt jetzt einen regelmäßigen Herzschlag an. Wieder wurde ein Baby im regionalen Referenzkrankenhaus in Mbeya gerettet und das engagierte Personal der Neugeborenenstation für Risikopatienten- und Patientinnen kann nun selbst erstmal tief durchatmen und sich etwas entspannen.
Tansania und Deutschland arbeiten zusammen, um die Gesundheit von Neugeborenen zu verbessern
Weltweit geschieht fast die Hälfte aller Todesfälle von Kindern im Alter von 0 bis 5 Jahren im ersten Lebensmonat – ein Drittel davon in den ersten 24 Stunden nach der Geburt. Obwohl die Neugeborenensterblichkeit in Tansania seit der Unabhängigkeit im Jahr 1961 zurückgegangen ist, ist sie mit 25 Todesfällen pro 1000 Lebendgeburten (Demographic and Health Survey 2015-16) noch weit von dem angestrebten Ziel für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goal, SDG) von 12/1000 entfernt. Die Haupttodesursachen sind Frühgeburten, Atembeschwerden, Infektionen und eine zu niedrige Körpertemperatur. Eben diesen Herausforderungen stellt sich das tansanisch-deutsche Programm für die Verbesserung der Gesundheitsversorgung. Es wird seit 2019 von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (GIZ) in den zwei neuen Regionen Mbeya und Tanga durchgeführt und baut auf der Arbeit von tansanisch-deutschen Vorgängervorhaben im Bereich der Neugeborenen- und Müttergesundheit in den Regionen Lindi und Mtwara auf.
„Zuerst hat es mir Angst gemacht, für winzige Frühgeborene verantwortlich zu sein.“
Maridhia Mvungi ist die leitende Krankenschwester der Neugeborenenstation des regionalen Referenzkrankenhauses in Mbeya und kann diese Aussage nur zu gut nachvollziehen: „Früher habe ich auf der Entbindungsstation gearbeitet, aber als ich 2017 auf die Neugeborenenstation versetzt wurde, hatte ich große Angst. Ich wusste nicht, wie ich diese winzigen und sehr kranken Frühgeborenen richtig versorgen soll. Ihre Haut ist so dünn und empfindlich. Außerdem können sie sich sehr leicht mit Krankheiten infizieren. Wir hatten keine Richtlinien für die Versorgung von Neugeborenen und viele von ihnen starben an einer Sepsis oder Asphyxie. Es ist so schmerzhaft, Babys sterben zu sehen! Wir hatten zwar einige Geräte, wussten aber nicht, wie man diese benutzt – am Ende musste uns das Wartungspersonal des Krankenhauses zeigen, wie sie funktionieren.“
Mit Beginn der deutschen Unterstützung änderte sich die Situation für Frau Mvungi und ihre Kollegen und Kolleginnen. Es wurden hochmoderne Geräte installiert, darunter zwei CPAP-Geräte (Continuous Positive Airway Pressure), um die Sauerstoffzufuhr der Babys zu regulieren, sowie ein spezieller Tisch für die Kanülierung, der das Einsetzen von Nadeln in die Venen von Neugeborenen erleichtert. Das Personal wurde in der korrekten Anwendung und Wartung der neuen Geräte ausführlich geschult.
Als besonders wertvoll empfindet das Personal das Fachwissen von Dr. Monika Frey, einer deutschen Kinderärztin und Neonatologin, die im Rahmen des tansanisch-deutschen Programms in der Region Mbeya arbeitet. Frau Mvungi berichtet: „In der Krankenpflegeschule haben wir uns nur allgemein mit der Gesundheit von Kindern unter fünf Jahren befasst. Dr. Monika hat uns spezielles Wissen über die Versorgung von Neugeborenen vermittelt. Ihre Erfahrungen in der Infektionsprävention und -kontrolle halfen uns dabei, neonatale Sepsis zu vermeiden. Zum Beispiel wurden Fächer für die Krankenakten über den Kinderbetten angebracht, sodass diese und andere Gegenstände nicht mehr auf den Betten der Babys liegen müssen.“
Mittlerweile geben Frau Mvungi und vier ihrer Kollegen und Kolleginnen ihre Kenntnisse an das Personal der drei Bezirkskrankenhäuser und vier Gesundheitszentren weiter, die das tansanisch-deutsche Programm in der Region Mbeya unterstützt. „Durch die Fortbildung des Programms bin ich viel sicherer geworden. Ich habe nun die Kenntnisse und Fähigkeiten, die ich brauche, um mich um die gesundheitlichen Probleme der Früh- und Neugeborenen zu kümmern. Und mit diesem Wissen kann ich auch meine Kolleginnen und Kollegen in den anderen Einrichtungen unterstützen.“
Tansania ist heute Vorreiter in der Neugeborenenversorgung in Niedrigeinkommensländern
In Ländern mit niedrigem Einkommen hat das Überleben von Müttern oft eine höhere Priorität als das Überleben von Neugeborenen erklärt Dr. Frey: „Neugeborene werden oft als eine Art „Anhängsel der Mutter“ gesehen. Ihnen wird nicht die Aufmerksamkeit zuteil, die sie als eigenständige Lebewesen bräuchten. Es kommt sogar vor, dass die Geburt und das Versterben von Neugeborenen gar nicht offiziell registriert werden.“
Von einem tansanisch-deutschen Vorgängerprogramm wurde 2011 in den Regionen Lindi und Mtwara in ausgewählten Gesundheitseinrichtungen eine wegweisende Initiative mit dem Titel „No Baby Left Out“ gestartet, die speziell auf das Überleben von Neugeborenen fokussiert ist. Als dort nach relativ kurzer Zeit ein starker Rückgang der Neugeborenensterblichkeit zu verzeichnen war, schlugen die Gesundheitsbehörden vor, den Ansatz mit Unterstützung der deutschen Partner auf die gesamte Region auszuweiten.
2015 startete das Folgeprogramm zur Verbesserung der Mütter- und Kindsgesundheit mit einem großzügigen Budget der G8 Muskoka-Initiative für die Gesundheit von Müttern, Neugeborenen und Kindern. 209 Gesundheitseinrichtungen und 1.700 Geburtshelfer- und helferinnen in den Regionen Lindi und Mtwara wurden mit Ausbildungen und Geräten unterstützt. Die Maßnahmen umfassten neben der Versorgung von Neugeborenen auch die Versorgung von Frauen während der Schwangerschaft und Geburt. In den Distrikt- und Regionalkrankenhäusern wurden insgesamt 14 Neugeborenenstationen eingerichtet und zwischen 2015 und 2016 ging die Zahl der Todesfälle bei Neugeborenen in diesen Einrichtungen um 31% von 32 auf 22 Todesfälle pro 1000 Lebendgeburten zurück.
Neue Standardverfahren für die Versorgung von Neugeborenen
Viele der Maßnahmen, die in den Programmen in Lindi und Mtwara umgesetzt wurden, bilden mittlerweile die Grundpfeiler der nationalen tansanischen Richtlinien für die Versorgung von Neugeborenen. Standards für die Einrichtung und Ausstattung von Neugeborenenstationen in Regional- und Distriktkrankenhäusern sind ein wichtiger Bestandteil. Besonders wertvoll ist für das Personal aller Einrichtungen auch die Triage-Checkliste für Neugeborene (Newborn Triage Checklist – NTC), mit deren Hilfe alle Neugeborenen zu drei entscheidenden Zeitpunkten auf mögliche Gefahrenzeichen untersucht werden: direkt nach der Geburt, 4-8 Stunden später und noch mal nach 20-24 Stunden bzw. kurz vor der Entlassung aus der Gesundheitseinrichtung.
Mit der Basis-Ausstattung zur Wiederbelebung von Neugeborenen, die flächendeckend in den Gesundheitseinrichtungen bereitgestellt wurde, kann immer wieder Neugeborenen das Leben gerettet werden. Außerdem lernen junge Mütter, frühgeborene Babys durch Haut-zu-Haut-Kontakt kontinuierlich warm zu halten – ein Ansatz der als „Känguru-Methode“ (Kangaroo Mother Care – KMC) bekannt ist.
Das mit deutscher Unterstützung entwickelte Maßnahmenbündel zur Neugeborenenversorgung bildet heute die Grundlage der „Nationalen Richtlinien für die Neugeborenenversorgung und die Einrichtung von Neugeborenenstationen“ in Tansania. Sie wurden im August 2019 beschlossen und das Gesundheitsministerium ist aktuell dabei, sie landesweit einzuführen. Dr. Felix Bundala, der Leiter der Fachabteilung für Neugeborenen- und Kindergesundheit des Ministeriums berichtet: „Inzwischen haben wir die Richtlinien in 159 von 350 Krankenhäusern des Landes eingeführt, von denen 127 bereits Neugeborenenstationen eingerichtet haben. Der Plan ist, dass bis 2025 alle Gesundheitseinrichtungen die neuen Standards umsetzen.“
Ein Gesamtpaket: Umfangreiche Unterstützung von der Bedarfsanalyse bis hin zu Schulungen und Problemlösungen
„Wir wenden die Richtlinien jetzt auch bei unseren Aktivitäten in den neuen Regionen Mbeya und Tanga an“, berichtet Dr. Frey. „Vor dem Aufbau einer Neugeborenenstation führen wir gemeinsam mit dem Krankenhauspersonal eine partizipative Bedarfsanalyse durch, um herauszufinden, was genau an Personal, Fachwissen und Ausstattung fehlt. Vor allem geht es darum, dem Personal genügend Selbstvertrauen zu vermitteln, damit sie die Leben von Säuglingen und ihren Müttern retten können.“ Schulungen und anschließendes Mentoring ergänzen sich im Rahmen des Programms. Durch Gruppenschulungen ist es möglich, eine große Anzahl von Mitarbeitenden zu erreichen und sie mit wichtigen Konzepten und Praktiken, die für sie oft neu sind, vertraut zu machen. Im Anschluss begleiten erfahrene Mentoren und Mentorinnen wie Frau Mvungi das fortgebildete Personal bei der täglichen Arbeit, um ihre neuen Fähigkeiten zu festigen. „Wir arbeiten mit einem ganzheitlichen Ansatz – von der Bedarfsanalyse über den Kauf von Ausrüstung und deren Wartung bis hin zu Schulung und Begleitung des Personals. Es ist einfach ein Gesamtpaket.“
Dabei aktualisiert und verbessert das Projekt-Team seine Fortbildungskonzepte kontinuierlich und hofft, dass sie wie die Richtlinien vom Gesundheitsministerium übernommen werden, um landesweit die Kenntnislücken der Gesundheitsdienstleister im Bereich der Neonatologie zu schließen. Bisher wird dieses Thema in der vorberuflichen Ausbildung von Ärzten und Ärztinnen, sowie Krankenschwestern- und Pflegern nicht abgedeckt.
Das Beste aus dem machen, was man hat
Dr. Ralf Syring von Health Focus, der Teamleiter für die Umsetzung der Mutter-Kind-Familienplanungskomponente, betont, wie wichtig die Kommunikation zwischen Personal und den verschiedenen Stationen der Einrichtungen ist, z. B. zwischen der Station für Mütter und der für Neugeborene. Dr. Syring sagt: „Mir ist wichtig, dass das Personal sich grundsätzlich bemüht, dass Beste aus dem zu machen, was sie haben. Richtlinien und Standards sind wichtig, aber allein reichen sie nicht aus. Bei den Schulungen zeigt sich oft, dass viele Mitarbeitende nicht darauf vorbereitet sind, mit unerwarteten Situationen umzugehen. Es fehlt an Praxis-orientiertem Lernen und das ist es, worauf es ankommt: „Schauen Sie sich das Baby an und wie es sich verhält. Warum tut es dies oder das? Worauf deutet das hin?““
Dr. Syring findet es ermutigend, dass sich einige Mitarbeitende diesen Ansatz zu Herzen genommen haben. „Interessiertes Personal, das echtes Interesse für das Thema zeigt, unterstützen wir dabei, Mentoren und Mentorinnen für ihre Kollegen und Kolleginnen zu werden – das sind die kleinen Erfolge, mit denen wir zu arbeiten versuchen.“ Seine Sorge ist jedoch die fehlende Zeit, um alle Bemühungen langfristig zum Erfolg zu führen: „Ja, wir können zeigen, dass es möglich ist, bestimmte Elemente der Versorgung zu verbessern, aber wir brauchen eine ausreichend Projektdauer dafür – Veränderungs- und Lernprozesse brauchen einfach ihre Zeit, sie müssen konsolidiert und nachverfolgt werden.“
Eine einfache Checkliste kann viel bewirken
Dr. Ahmad Makuwani, der stellvertretende Direktor für Reproduktive-, Mütter-, Neugeborenen-, Kinder- und Jugendgesundheit im tansanischen Gesundheitsministerium hat die Unterstützung der GIZ für das Überleben von Neugeborenen und Müttern schon seit 2012 in Lindi und Mtwara verfolgt. „In Tansania fielen die Neugeborenen bislang durchs Raster. Wir haben uns hingesetzt und gesagt: So kann es nicht weitergehen! Es ist kein Geheimnis, dass die deutsche Entwicklungszusammenarbeit bei der Neugeborenenversorgung eine Vorreiterrolle spielt: Der größte Teil unserer nationalen Richtlinien ist aus den Erfahrungen in Lindi und Mtwara hervorgegangen – und sie haben sich in ganz Tansania verbreitet. Als ich 2013 die Triage-Checkliste für Neugeborene entdeckte, sammelte ich viele dieser Tabellen und schickte sie an das Ministerium. Um unsere Dienstleistungen zu verbessern, brauchen wir statt Hightech-Technologie gute Beratung. Und dabei denke ich an ganz kleine Maßnahmen. Sehen Sie, die Neugeborenen-Triage-Checkliste, eigentlich nur ein Blatt Papier, kann die Leben zahlreicher Neugeborener retten!“
Von Lindi und Mtwara nach Mbeya und Tanga
Den Partnern im Gesundheitsministerium ist die Bedeutung dessen, was mithilfe der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Lindi und Mtwara erreicht wurde, sehr bewusst. Dr. Makuwani sagt: „Aufgrund der COVID-Pandemie konnte das GIZ-Team in Mbeya und Tanga die Aktivitäten erst mit Verzögerung beginnen. Trotzdem müssen wir das, was wir in Mtwara und Lindi im Bereich der Neonatologie erreicht haben, jetzt auch dort aufbauen.“
Dr. Bundala, der Leiter der Abteilung für die Gesundheit von Neugeborenen und Kindern, schließt sich dieser Meinung an: „Wir wünschen uns, dass alle Krankenhäuser und Gesundheitszentren in Mbeya und Tanga in vollem Umfang von den Maßnahmen im Bereich Personalentwicklung und Ausstattung der Neugeborenenstationen profitieren.“
Dr. Baltazar Ngoli, ein langjähriges Mitglied des tansanisch-deutschen Programmteams, stellt fest: „In der technischen Zusammenarbeit mit Deutschland baut jedes Projekt auf dem Vorangegangenen auf.“ So wirkt die deutsche Muskoka-Unterstützung für die Gesundheit von Neugeborenen über die nationalen Richtlinien und ihrer landesweite Einführung nachhaltig weiter fort und kann in der aktuellen Phase durch die Integration der im Rahmen des Vorhabens entwickelten Schulungskonzepte in die Lehrpläne von Berufsbildungseinrichtungen weiter konsolidiert werden.
Trotz des durch die Pandemie verzögerten Beginns stehen die Chancen für einen erfolgreichen Projektverlauf auch in Mbeya und Tanga gut. Ein kompetentes Projektteam und hochmotivierte Partner arbeiten mittlerweile mit Hochdruck daran, die Neugeborenenversorgung auch in diesen Regionen nachhaltig zu verbessern.
Dr Mary White-Kaba, Oktober 2021 (deutsche Version: Januar 2021)