Subscribe to the Healthy DEvelopments Newsletter

Jede richtige Verschreibung zählt beim Kampf gegen Antibiotikaresistenzen in Liberia

Jede richtige Verschreibung zählt beim Kampf gegen Antibiotikaresistenzen in Liberia

Foto: Auf lokalen Märkten in Liberia werden Antibiotika ohne Rezept verkauft. Copyright: Health Focus.

Antibiotikaresistenzen sind eine der größten Herausforderungen für die globale Gesundheit. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit hat sie in Liberia in Angriff genommen.

Josephine fuhr mit ihrer schweren Atemwegsinfektion viele Stunden in einem überfüllten Kleinbus zum JJ Dossen Memorial Krankenhaus im Südosten Liberias. Als sie dort schließlich von einem Arzt gesehen wurde, bestand sie darauf, Antibiotika verschrieben zu bekommen, um den langen Weg nicht umsonst gemacht zu haben. Der Arzt war sich nicht sicher, ob Antibiotika Josephine tatsächlich helfen würden. Da er keine Möglichkeit hatte, dies mit den nötigen Labortests zu klären, verschrieb er Josephine auf ihr Drängen hin die Antibiotika.

Auch auf den lokalen Märkten Liberias werden Antibiotika, inklusive Antibiotika-Fälschungen, an vielen Ständen ohne Rezept verkauft. Auf die Frage des Krankenhausdirektors an einen der Verkäufer, ob es ihn nicht sorge, dass die Pillen, die er verkaufe, vielen Menschen schaden könnten, antwortete dieser lächelnd: „Manche schaden vielleicht, aber manche helfen auch!“

Liberia ist diesbezüglich keine Ausnahme: Die laxe Verschreibungspraxis und der unkontrollierte Verkauf von Antibiotika ist in vielen Teilen der Welt gang und gäbe – für einen hohen Preis.

Antibiotikaresistenzen sind eine weltweite Bedrohung…

Der systematische Missbrauch und die Überdosierung vieler wichtiger Antibiotika haben deren Wirksamkeit bereits drastisch beeinträchtigt. Laut The Lancet (Januar 2022) sind antimikrobielle Resistenzen (AMR) inzwischen eine der häufigsten Todesursachen weltweit, wobei ärmere Länder wie Liberia besonders stark betroffen sind. Laut Prof. Frieder Schaumburg, der Direktor der medizinischen Fakultät der Universität Münster und externer Berater des AMR-Projekts in Liberia, „ist es ganz klar, dass Antibiotikaresistenzen in den kommenden Jahren Millionen von Menschen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen töten werden – zehnmal so viele wie in Ländern mit höherem Einkommen“ (siehe O’Neill, 2016, Tackling drug-resistant infections globally).

Im Mai 2015 warnte die Weltgesundheitsversammlung (World Health Assembly – WHA) davor, dass die AMR-Krise „die moderne Medizin im Kern bedroht“ und heute bereits wirksame Maßnahmen gegen Infektionskrankheiten untergräbt. Da derzeit keine neuen Medikamente in Entwicklung sind, die diese Antibiotika ersetzen könnten und da Antibiotikaresistenzen zunehmen, steuert die Welt „auf eine post-antibiotische Ära zu, in der gewöhnliche Infektionen wieder tödlich werden könnten.“ Um diese beängstigende Entwicklung abzuwenden, hat die WHA einen globalen Aktionsplan verabschiedet, der darauf abzielt, das Bewusstsein für und Verständnis von Antibiotikaresistenzen durch effektive Kommunikation, Schulungen, Ausbildungen, Überwachung und Forschung zu verbessern. Wie wird der globale Aktionsplan in Ländern wie Liberia in die Tat umgesetzt?

denen lokal begegnet werden muss.

Im Jahr 2018 verabschiedete Liberia eine nationale Strategie zu antimikrobiellen Resistenzen und bat um technische Unterstützung durch das Deutsch-Liberianische Gesundheitsprogramm, das von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) durchgeführt wird. Gute Arbeitsbeziehungen zum Gesundheitsministerium wurden bereits im Rahmen der vorangehenden Zusammenarbeit bei der Pandemieprävention und Gesundheitssystemstärkung etabliert, deren Schwerpunkt auf dem Ausbau von Laborkapazitäten in Liberia lag (dokumentiert in diesem Artikel). Die GIZ brachte mehrere Partner in diesem Projekt zusammen: Die Health Focus GmbH und Partners in Health (PIH) entwickelten das Antimicrobial Surveillance and Stewardship Project (AMR-Projekt). Durch die Zusammenarbeit mit PIH, die seit Langem in Liberia arbeiten, sollte die Nachhaltigkeit des kurzen Projektes gewährleistet werden. Zusätzlich steuerte das Universitätsklinikum Münster akademisches und technisches Fachwissen bei.

Die Partner konzentrierten sich gemeinsam auf die Entwicklung und Umsetzung lokaler Behandlungsrichtlinien für die antimikrobielle Therapie, auf Schulungen der verschreibenden Ärzt*innen und auf die regelmäßige Überwachung der Verschreibungspraxis auf den Stationen. Im Rahmen des Projekts wurden auch die Laborkapazitäten gestärkt und Techniker*innen für die Durchführung von Antibiotikaresistenztests ausgebildet.

Trotz schwieriger Rahmenbedingungen ein Erfolg

Ziel des Projekts war es, zu zeigen, dass es auch unter schwierigen Rahmenbedingungen möglich ist, die medizinische Versorgung durch einen korrekten Umgang mit Antibiotika zu verbessern. Das AMR-Projekt wurde in drei Krankenhäusern in schwer zugänglichen Bezirken im Südosten Liberias gestartet – im JJ Dossen Memorial Krankenhaus in Maryland, im Rally Time Krankenhaus in Grand Kru und im Fish Town Krankenhaus in River Gee. „Während der Regenzeit dauert es zwei bis drei Tage, um diese Bezirke per Auto zu erreichen“, sagt Dr. Abraham Alabi, ein nigerianischer Mikrobiologe, der auf Infektionskrankheiten spezialisiert und der leitende technische Berater für die AMR-Kooperation ist. „Wenn es uns gelingt, selbst an schwierigen Orten Erfolge zu erzielen, wissen wir, dass unser Ansatz funktioniert.“

Dr Abraham Alabi (centre) conducted a series of trainings and workshops on AMR
Dr. Abraham Alabi (Mitte) führte eine Reihe von Schulungen und Workshops zu Antibiotikaresistenzen durch (Foto: Dr. Abraham Alabi).

Unter der Leitung von Dr. Alabi führte das Projekt-Team eine Reihe von Schulungen und Workshops durch, um das Bewusstsein des medizinischen Personals für Antibiotikaresistenzen zu stärken, die Vorteile einer korrekten Verschreibungspraxis aufzuzeigen und einen umsichtigeren Einsatz von Antibiotika zu fördern.

Nur mit Labordiagnostik kann die Verschreibungspraxis verbessert werden

Training und Wissen allein können das Verhalten von Ärzt*innen jedoch nicht nachhaltig ändern. Ohne Labortests, die den Erreger einer Krankheit ermitteln, ist es kaum möglich, die richtige Therapie zu wählen und adäquate Medikament zu verschreiben. „Medikamente wurden vor unserem Projekt oft auf gut Glück verschrieben – auf Kosten der Patientinnen und Patienten“, berichtet Dr. Alabi. Patient*innen wie Josephine verstehen oft nicht, dass ein falscher oder unangemessener Einsatz von Antibiotika tatsächlich schädlich für sie sein kann.

„Bei der sogenannten AMR-Stewardship geht es um den umsichtigen Einsatz unserer antimikrobiellen Mittel. Man muss die geeignetste Substanz mit viel Bedacht auswählen“, sagt Professor Schaumburg. „Und um eine kluge Wahl treffen zu können, muss man zuerst den Erreger identifizieren: Dies geht nur mit Labordiagnostik.“

Einer der ersten Schritte des Projekts war daher die Einrichtung eines voll funktionsfähigen mikrobiologischen Labors. Im Oktober 2019 wurde es im JJ Dossen Memorial Krankenhaus eröffnet und kann seither internationalen Standards entsprechend Kultur- und antimikrobielle Resistenzprüfungen von Blut, Urin, Stuhl und Abstrichen durchführen. Das Labor arbeitet für alle drei Krankenhäuser des AMR-Projekts. Die Proben werden aus den anderen beiden per Motorrad zum JJ Dossen transportiert. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit und Partners in Health haben Sterilisatoren, Mikroskope, Reagenzien bereitgestellt und Labortechniker*innen soweit ausgebildet, dass das Labor die Ansprüche einer internationalen Akkreditierung erfüllt und wichtige Antibiotika-Resistenzprüfungen durchführen kann.

„Alle konnten sehen, wie schnell die richtigen Antibiotika wirken!“

Einige Wochen nach ihrer Entbindung kam eine Frau mit einer infizierten Kaiserschnittnarbe ins Krankenhaus. Zunächst wurden ihr Antibiotika verabreicht, ohne dass die Bakterien, die die Infektion verursachten, vorher identifiziert worden waren. Trotz der Medikamente verbesserte sich ihr Zustand nicht. Also schickten die Ärzt*innen Proben an das neu eingerichtete mikrobiologische Labor. Die Bakterien, die die Infektion verursachten, wurden dort schnell identifizierte. Die Frau erhielt daraufhin spezifische Antibiotika, und ihr Zustand verbesserte sich rasch. „Das war ein Wendepunkt, denn alle konnten sehen, wie schnell die richtigen Antibiotika wirken!“, sagt Dr. Alabi. „Seitdem ist das medizinische Personal sehr viel vorsichtiger beim Verschreiben von Antibiotika geworden. Sie haben verstanden, wie wichtig es ist, die richtigen Medikamente zu verschreiben.“

„Die Menschen nehmen Veränderungen an, wenn sie positive Ergebnisse sehen“, stimmt Professor Schaumburg zu. „Die wichtigste Lehre aus diesem Projekt ist, dass es möglich ist, Maßnahmen gegen die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen selbst in sehr schwierigen und abgelegenen Gebieten mit guter Planung, Schulungen und Anreizen sowie der Zusammenarbeit von Regierung und lokalem Personal erfolgreich durchzuführen.“

Die Veränderungen, die sich infolge des Projekts bei der Auswahl und Verschreibung von Antibiotika vollzogen, waren beeindruckend. Die Evaluation am Ende des Projekts ergab, dass sich die Auswahl geeigneter antimikrobieller Mittel von 34,5 % (107/310) auf 61,0 % (189/310) verbessert hatte. Von fast 80 % der Patient*innen mit Infektionskrankheiten, die für eine angemessene Behandlung eine mikrobiologische Analyse benötigten, waren Proben an das Labor geschickt worden. Bei rund 92 % dieser Patient*innen verbesserte sich ihr Zustand innerhalb von drei Tage nach der Verabreichung der geeigneten Antibiotika.

Aufbau von nationalen und lokalen AMR-Lenkungsausschüssen 

Im November 2019 wurde ein nationaler AMR- Lenkungsausschuss eingerichtet, in dem das Gesundheitsministerium und Entwicklungspartner wie die WHO und die GIZ vertreten sind. Der Ausschuss, dessen Vorsitz ein ehemaliger leitender Pharmazeut Liberias innehat, trifft sich alle zwei Monate, um Antibiotikaresistenzen und Verschreibungspraktiken zu überwachen, und er hat die Erkenntnisse und Ansätze des AMR-Projekts übernommen.

Training and better knowledge has resulted in a ‘greater sense of ownership’ of the problem of AMR
Die Schulungen haben das medizinische Personals für die AMR-Problematik sensibilisiert (Foto: Dr. Abraham Alabi).

Jedes der drei Krankenhäuser hat außerdem (je nach Personalsituation mit unterschiedlichem Erfolg) eigene multidisziplinäre Ausschüsse eingerichtet, die regelmäßig Visiten durchführen, um bei Bedarf im Hinblick auf Antibiotikaeinsatz zu intervenieren und die systematisch klinische, mikrobiologische und epidemiologische Patient*innendaten sammeln. 

Der Wissensdurst bleibt bestehen

Obwohl die deutsche Finanzierung des AMR-Projekts im Januar 2022 auslief, hält der Wissensdurst der medizinischen Fachkräfte an. Sie wollen mehr über das Problem und entsprechende Lösungen lernen, sagt Johanna Schulte, Beraterin der GIZ für Gesundheitssystemstärkung, Epidemieprävention und Genderfragen in Liberia. Das Bewusstsein für das Thema und die Verantwortung für die eingeführten AMR-Stewardship-Maßnahmen sind kontinuierlich gestiegen. 

Mit Unterstützung des Projekts konnte die liberianische Regierung 2021 auch erstmals Daten an das globale Meldesystem der WHO (GLASS) übermitteln. Trotz all dieser beträchtlichen Fortschritte sind die verbleibenden Herausforderungen nach wie vor enorm – und es ist offen, ob und wie die Projekterfolge in einem Umfeld mit eingeschränkten Ressourcen aufrechterhalten werden können.

Ein vielversprechender erster Schritt

Professor Schaumburg ist überzeugt, dass ein zwei- bis dreijähriges Projekt nicht ausreicht, um ein Problem dieser Größenordnung in den Griff zu bekommen. Trotzdem ist er der Meinung, dass das Projekt sich „auf jeden Fall gelohnt hat“, weil es gezeigt hat, wie AMR-Maßnahmen selbst in den schwierigsten Kontexten erfolgreich sein können. Es war auch ein gutes Beispiel für die Süd-Süd-Zusammenarbeit zwischen Liberia und Expert*innen aus Nigeria, Tansania und Gabun, die nach Liberia kamen, um Schulungen durchzuführen und das Projekt zu beraten. Er ist jedoch besorgt, dass die Projektergebnisse angesichts der begrenzten finanziellen Möglichkeiten der liberianischen Regierung nicht fortgesetzt werden. Selbst wenn Deutschland das Projekt nicht mehr unterstützen kann, hofft er, dass andere Organisationen diese wichtige Arbeit fortsetzen. Die daraus gezogenen Lehren wurden kürzlich als wissenschaftlicher Artikel veröffentlicht:

Implementation of an antimicrobial stewardship programme in three regional hospitals in the south-east of Liberia: lessons learned.

Professor Schaumburg ist der Ansicht, dass ein langfristiger Erfolg bei der Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen nur mit strukturellen Verbesserungen gelingen kann: eine verbesserte Abwasserentsorgung, Zugang zu sauberem Wasser, die Grundimmunisierung der Bevölkerung und bessere Lebensbedingungen sind dafür wichtige Grundvoraussetzungen. Dafür ist ein ganzheitlicher One Health-Ansatz, der die Gesundheit von Mensch und Tier, nachhaltige Ressourcen, geschultes Personal sowie gute Regierungsführung umfasst, unabdinglich. Er erinnerte sich an einen Workshop in Harper, bei dem es einige Tage lang weder Strom noch Wasser gab: „Man kann ein Labor bauen und ausstatten, aber wenn man sich dann nicht die Hände waschen kann, ist das ein Problem.“ 

Dennoch ist das JJ Dossen Memorial Krankenhaus dank des AMS-Projekts besser in der Lage, solche Herausforderungen zu bewältigen und die guten Entwicklungen mithilfe regelmäßiger Visiten und Antibiotikaresistenztests weiterzuführen. Die Krankenhäuser in River Gee und Grand Kru benötigen jedoch weitere Unterstützung und werden diese bis Mitte 2023 über das bis dahin laufende liberianisch-deutsche Gesundheitsprogramm erhalten.  Emmanuel Agu, Bezirksapotheker am JJ Dossen Memorial Krankenhaus, sagt, dass er und seine Kolleg*innen sich bemühen, den Geist des AMR-Projekts aufrechtzuerhalten: „Wir müssen unsere Kolleginnen und Kollegen weiterhin ermutigen, Antibiotika sehr überlegt einzusetzen. Es geht nicht nur um das Wohl ihrer Patienten und Patientinnen, sondern um das der Welt, in der wir alle leben.“

Ruth Evans,
Juni 2022

© Dr Abraham Alabi
© Dr Abraham Alabi
Nach oben scrollen