Basisgesundheitsdienste für Menschen in frontnahen Gebieten in der Ukraine
Die ukrainischen Gesundheitsdienste sind seit über einem Jahr unter Beschuss. BACKUP Health unterstützt zwei Organisationen, die in frontnahen Gebieten die grundliegende Gesundheitsversorgung sicherstellen und besonders bedürftigen Menschen Schutz bieten.
Als ihr Land im Februar 2022 angegriffen wurde, trat die ukrainische NRO Alliance for Public Health (APH) sofort in Aktion. Vor dem Krieg hatte sie sich landesweit vor allem um die Gesundheitsversorgung von Menschen gekümmert, die mit HIV, Tuberkulose und Hepatitis C leben. Angesichts der veränderten Situation entschied APH, dass ihre Unterstützung nun besonders in der Nähe der Frontlinien des benötigt würde. Alle üblichen Wege für den Transport lebenswichtiger Güter von Kiew in die Ost- und Südukraine waren zu diesem Zeitpunkt zusammengebrochen. „Die Menschen in diesen Gebieten waren von der Außenwelt so gut wie abgeschnitten. Wir beschlossen deshalb, mit unseren eigenen Lastwagen hinzufahren, um Lebensmittel, warme Kleidung und Medikamente zu ihnen zu bringen“, sagt Pavlo Smyrnov, der stellvertretende Geschäftsführer von APH.
In vielen frontnahen Gebieten ist die Gesundheitsversorgung praktisch zusammengebrochen

APH fuhr zum ersten Mal im Dezember 2022 in die betroffenen Gebiete. „Als wir ankamen, sagten mir die Menschen als Erstes, dass sie seit über acht Monaten keinen Arzt mehr gesehen hatten“, sagt Smyrnov. „Während der [russischen] Besatzung gab es keine Ärzte. Als sie abzogen, war aus den kleinen Kliniken die gesamte Ausrüstung verschwunden. Es gibt dort jetzt keine Apotheken mehr, keine Ärzte, keine Krankenhäuser – alles ist entweder zerstört oder von den russischen Truppen gestohlen worden“, fügt er hinzu. Die Menschen, die das APH-Team vorfand, waren dankbar für die mitgebrachten Lebensmittel, die Kleidung und die Medikamente. Was sie jedoch am meisten brauchten, war medizinische Versorgung:
Das Gesundheitssystem ist dort komplett zusammengebrochen. Die Menschen brauchen Medikamente, aber sie brauchen auch Ärzte, die ihre Krankheiten diagnostizieren und sie beraten, wie sie die Medikamente einnehmen sollen.
Pavlo Smyrnov, Stellvertretender Exekutivdirektor der APH
Die mobilen Klinikteams von APH treffen vor Ort breites Spektrum an medizinischen Problemen an: „Die meisten Menschen, die noch dort sind, sind relativ alt. Sie leiden an Bluthochdruck, Diabetes und chronischen Krankheiten – und dafür sind ihnen längst die Medikamente ausgegangen“, sagt er. „Sie haben sich einfach selbst behandelt mit Medikamenten, die sie noch hatten“, fügt er hinzu. Wenn sie von Kranken erfahren, die nicht selbst zur mobilen Klinik kommen können, macht das Team auch Hausbesuche: „Es ist wirklich traurig zu sehen, wie diese kranken Menschen versuchen, unter den derzeitigen Umständen irgendwie zu überleben,“ sagt Smyrnov.
BACKUP Health unterstützt die Aufrechterhaltung der Basisgesundheitsdienste
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat BACKUP Health beauftragt, in ausgewählten Partnerländern die Stärkung der Gesundheitssysteme und die Bereitstellung von Dienstleistungen für Menschen mit HIV und Tuberkulose zu unterstützen. Angesichts der aufgrund des Krieges prekären Lage des Gesundheitssystems entschied das BMZ, dass auch Maßnahmen in der Ukraine von BACKUP Health gefördert werden können. Das BACKUP Health Team identifizierte schnell die Nichtregierungsorganisationen APH und 100% Life als geeignete Partner.
BACKUP konzentriert sich normalerweise auf die Stärkung der Gesundheitssysteme. Doch in einer Kriegssituation stehen wesentliche Dienste auf dem Spiel, und wir müssen flexibel reagieren. Die Betreuung vulnerabler Gruppen muss immer ein wichtiger Teil der Arbeit sein, die wir fördern. Wir unterstützen diese beiden Organisationen, weil sie die wichtigsten Partner des Globalen Fonds in der Ukraine sind, weil sie sich für vulnerable Gruppen einsetzen und in der Lage sind, ihre Arbeit in Kriegszeiten auszuweiten.
Dr. Gesa Walcher, Teamleiterin, BACKUP Health
Ärzte und Fahrer auf gefährlicher Mission
Seit Januar 2023 unterstützt BACKUP die APH beim Betrieb von vier mobilen Kliniken, die in 2er-Teams wöchentlich zu dreitägigen Einsätzen tief in die vom Krieg betroffenen Gebiete fahren, um dabei mindestens 120 Menschen mit grundlegenden Gesundheitsdiensten zu versorgen.
Es dauert mehrere Stunden, um hinzufahren, und dort erwartet uns dann eine Schlange von mindestens 60 Menschen. Wir nehmen uns 10 bis 15 Minuten pro Person und versuchen, die Patienten schnell mit Medikamenten zu versorgen. Manche Menschen sind traumatisiert und wollen einfach nur mit einem Arzt sprechen.
Pavlo Smyrnov, Stellvertretender Exekutivdirektor der APH
Ania Korobchuk, APHs Projektmanagerin für die mobilen Kliniken, erinnert sich, wie schwierig es zunächst war, überhaupt Ärzt*innen und Fahrer*innen zu finden, die bereit waren, in diese gefährlichen Teile des Landes zu fahren.
„Wir haben zuerst in unserem vorhandenen Fahrerpool herumgefragt. Die meisten haben erstmal abgelehnt. Aber dann haben sich doch einige gemeldet“, sagt sie. Noch schwieriger war es, Ärzt*innen zu finden. Viele von ihnen waren schon zu den Streitkräften eingezogen worden, andere hatten das Land verlassen, und die, die noch da waren, wurden in den Krankenhäusern von Kiew gebraucht. Ania wandte sich daher an die Abteilung für öffentliche Gesundheit an ihrer Universität, und das half. „Wir haben jetzt einige Ärztinnen, Ärzte und Krankenschwestern, die mit uns zusammenarbeiten. Diese Leute sind mit großer Leidenschaft bei der Sache“, sagt sie.
Gesundheitsversorgung zwischen Landminen und Artilleriebeschuss
Jede Woche bereitet das APH-Team zwei Tage lang den nächsten Einsatz vor und dann wird dieser an drei Tagen durchgeführt. „Wir brechen sehr früh auf, um die Dörfer rechtzeitig zu erreichen, denn wir müssen dort noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder weg. Sobald die Nacht hereinbricht, wird es sehr gefährlich“, sagt Smyrnov. „Es gibt ständigen Artilleriebeschuss. Wir wollen nicht zur Zielscheibe werden. Unsere Transporter sind groß und leicht zu erkennen. Und dann sind da die von den Russen verlegten Landminen. Die Transporter müssen deshalb immer auf der asphaltierten Straße bleiben, alles andere ist lebensgefährlich.“

Zwischen Dezember 2022 und Anfang März 2023 hat APH bereits 16 solche Missionen durchgeführt und dabei über 1000 Menschen beraten und behandelt. Sie haben außerdem 30 Tonnen warme Kleidung und Hygieneartikel sowie Erste-Hilfe-Kits mit grundlegenden Fieber- und Schmerzmitteln an die Bevölkerung der umkämpften Gebiete verteilt.
100% Leben: Eine Unterkunft für die Bedürftigsten, einschließlich Menschen mit HIV oder TB
Der zweite Partner von BACKUP Health in der Ukraine, 100% LIFE, setzt sich seit Jahrzehnten für die Behandlung, die Verbesserung der Lebensqualität und die Wahrung der Menschenrechte von Menschen mit HIV, Tuberkulose und Hepatitis C ein. 100% Life ist die größte von selbst von diesen Krankheiten Betroffenen geführte Organisation in der Ukraine. Jedes Jahr betreut sie mehr als 190 000 Patient*innen, und rund 90 000 von ihnen leben mit HIV.
Seit Beginn des Krieges hat 100% LIFE Notunterkünfte für Menschen eingerichtet, die auf der Flucht vor der Gewalt sind. Dabei bemühen sie sich speziell auch um die oben genannten von HIV, TB und Hepatitis C betroffenen Menschen. In Lemberg, dem Herzen der Westukraine, betreibt die Organisation ihre größte Unterkunft.
„Hier in Lemberg kamen von Kriegsbeginn an täglich zahlreiche Menschen an, die aus den Kriegsgebieten geflohen waren. Und ganz viele von ihnen fanden einfach keine Bleibe. Also beschlossen wir, ihnen zu helfen“, erklärt Oksana Opara, Leiterin der 100% LIFE-Unterkunft in Lemberg.
„Es begann zunächst als freiwillige Initiative unserer Mitarbeiter*innen hier in Lemberg. Sie sammelten Bettzeug, Kleidung und Lebensmittel für die Menschen, die ohne alles hier ankamen. Nach einem Monat gelang es uns, Mittel für die Eröffnung dieser Unterkunft zu erhalten.“

Die Menschen, die zu uns kommen, haben alles verloren.
Heute beherbergt die Unterkunft etwa 130 Männer, Frauen und Kinder. 100% LIFE versorgt sie mit grundlegenden Hygieneartikeln und drei Mahlzeiten pro Tag. Es gibt auch eine Krankenschwester und die Unterkunft hat Zugang zu einer Psychologin und Sozialarbeiter*innen, die die Menschen beraten und ihnen helfen, sich zurechtzufinden. „Im Durchschnitt bleiben die Menschen hier ungefähr für einen Monat. Aber jede Situation ist einzigartig – manche bleiben sechs Monate, wenn sie keine andere Bleibe haben“, sagt Opara.
Die Menschen, die zu uns kommen, haben oft alles verloren – ihre Häuser wurden zerstört, sie haben wichtige Ausweispapiere verloren, sie haben keine Ersparnisse. Manche kommen mit nichts als den Kleidern, die sie tragen, zu uns.
Oksana Opara, Head of the 100% Life shelter in Lviv
Etwa die Hälfte der Bewohner*innen gehört zu einer der Gruppen, mit denen die NRO auch vor dem Krieg gearbeitet hat: HIV- und TB-Patient*innen, ehemalige Häftlinge, ehemalige Drogenabhängige und Sexarbeiter*innen. „Menschen, die mit HIV leben, werden manchmal in anderen Unterkünften nicht aufgenommen“, sagt Opara. „Mit den Mitteln, die wir von BACKUP Health erhalten, können wir sicherstellen, dass es hier in Lemberg einen sicheren Ort für sie gibt.
Einer unserer Grundsätze ist, dass sich Menschen mit HIV, Tuberkulose oder anderen Krankheiten hier vollkommen sicher fühlen müssen. Wir behandeln sie genauso, wie alle anderen auch. Und wir geben ihren Status nicht an andere weiter, es sei denn, sie tun es selbst.
Yuliia Chechotkina, 100% LIFE, Kommunikationsbeauftragte
Das Profil der Menschen, die eine Notunterkunft suchen, ändert sich ständig, fügt sie hinzu. In den ersten Monaten zogen die Menschen relativ schnell weiter. „Jetzt gibt es viele, die völlig verloren sind“, sagt Opara, „vor allem diejenigen, die aus den besetzten Gebieten kommen und dort monatelang unter Bombardements gelitten haben – sie sind traumatisiert und haben keine Pläne für die Zukunft“. Viele von ihnen sind älter: „Im Moment haben wir eine Frau in den Achtzigern, die nirgendwo anders hin kann. Sie hat alles verloren und keine Verwandten“, sagt Opara. „Eine andere alte Dame hier aus Donezk ist nur mit Bademantel und Hausschuhen bekleidet geflohen, als ihr Haus bombardiert wurde. So kam sie hier an. Zum Glück haben wir jetzt einige ihrer Verwandten gefunden.“

In Kriegszeiten sind innovative Wege der Leistungserbringung gefragt
Was das Projekt weiter am meisten braucht, so Opara, ist eine Basisfinanzierung, um sich über Wasser zu halten. „Wir müssen die Rechnungen für Heizung, Strom, Wasser, Lebensmittel, Hygieneartikel und grundlegende Dinge wie Teller und Tassen bezahlen können. Alles geht uns schnell aus, weil immer neue Menschen ankommen und weiterziehen.“
Die Nachfrage nach den Unterstützungsleistungen, die 100% LIFE und APH anbieten, steigt stetig an und Frieden ist weiter nicht in Sicht. „Selbst wenn der Krieg morgen zu Ende wäre“, so Smyrnov, „wird die medizinische Versorgung der Menschen in den vom Krieg betroffenen Teilen der Ukraine für geraume Zeit eine enorme Herausforderung bleiben. Angesichts der Verwüstung dort wird eine mobile Gesundheitsversorgung vielleicht zunächst die beste Lösung bleiben“, sagt er.
„Wir können es uns nicht leisten, abzuwarten, bis die medizinischen Einrichtungen wieder aufgebaut und die Ärzte zurückgekehrt sind. Unsere Leute brauchen jetzt Hilfe. Und wir werden alles tun, was wir können, um sie zu leisten.“
Inna Laz
März 2023