Junge Influencer*innen machen sich stark gegen Menstruationstabus in Nepal – und darüber hinaus
Mit „Klicks“ und „Likes“ gesundheitsgefährdende Praktiken bekämpfen und junge Frauen in Nepal stärken.
Deutschland unterstützt Projekte in Nepal, Albanien und auf den Philippinen, die zusammen mit lokalen Social Media Influencer*innen und Prominenten mit Tabus rund um Menstruationsgesundheit und -hygiene aufräumen. Mit großer Wirkung! Der Kurzfilm „Tackling Taboos“ der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH wurde für das WHO-Filmfestival „Gesundheit für alle“ nominiert. Der Film wurde aus mehr als 1.000 Einsendungen ausgewählt und ist jetzt unter den letzten 70 – und der Einzige, der das Thema Menstruation behandelt.
Keki Adhikari ist eine nepalesische Schauspielerin, Model, Filmproduzentin und soziale Aktivistin. Als „lokale Influencerin“ mit großer Fan-Gemeinde auf Facebook, Instagram und Twitter hat Keki eine erfolgreiche Kampagne der GIZ begleitet. Die Kampagne zeigt, mit welchen Herausforderungen Mädchen und Frauen beim Umgang mit ihrer Menstruation in Nepal konfrontiert sind und welche Lösungen sich dafür anbieten. Im Film „Tackling Taboos“ spielt Keki die Hauptrolle. „Tackling Taboos“ ist einer von 70 Filmen, die aus über 1.000 Einsendungen für das WHO-Filmfestival „Gesundheit für alle“ nominiert wurden – und der Einzige, der sich mit dem sensiblen Thema der Menstruation befasst.
„Es war ein sehr glücklicher Moment, als wir erfuhren, dass unser Kurzfilm für diesen renommierten Filmpreis der WHO nominiert wurde“, sagt Sami Pande, Beraterin der GIZ für das Programm Sexuelle Reproduktive Gesundheit und Rechte von Jugendlichen. „Wir sind begeistert, dass der Film nun von Menschen auf der ganzen Welt gesehen wird.“
Impulse für die Menstruationsgesundheit
Die meisten Frauen in Nepal können während ihrer Periode nur eingeschränkt am täglichen Leben teilnehmen. Im schlimmsten Fall gilt ein menstruierendes Mädchen oder eine menstruierende Frau in einigen abgelegenen ländlichen Gebieten im Westen Nepals als unrein und unberührbar und muss die Tradition der sog. Chhaupadi einhalten. Das bedeutet, dass sie von ihrer Familie isoliert und während der Menstruation in einem Ziegen- oder Kuhstall eingesperrt wird, wie in diesem Beitrag beschrieben. Außerdem darf sie keine Männer berühren, kein Essen in der Küche zubereiten, nicht in den Tempel gehen, um zu beten, und oft darf sie nicht mit Wasser aus dem gemeinschaftlichen Wasserhahn baden. Viele Mädchen – sowohl in ländlichen als auch in städtischen Gebieten – gehen während der Menstruation nicht zur Schule, weil es an Menstruationsprodukten und frauenfreundlichen Toiletten mangelt.
In den letzten Jahren sind in Nepal die Themen Menstruationsgesundheit und -hygiene (MHM) sowie Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene (WASH) immer mehr in den Fokus gerückt. Verschiedene Entwicklungspartner arbeiten mit der nepalesischen Regierung an schulischen Programmen sowie an der lokalen Produktion und Verteilung von Damenbinden. Im Dezember 2018 fand der erste „MenstruAction“-Gipfel mit über 500 Teilnehmer*innen von Regierung, Nichtregierungsorganisationen, bürgernahen Organisationen, Entwicklungspartnern, Medien, sozialen Unternehmen und VertreterInnen des Privatsektors statt. Heute koordiniert die Nepal‘s MHM Partner’s Alliance die Agenda für Menstruationsgesundheit und -hygiene und ermöglicht den Mitgliedern den Austausch von Erfahrungen und Informationen.
Bekannte lokale Influencer helfen bei Verhaltensänderungen
Ein Großteil dieser Arbeit kam zum Erliegen, als aufgrund von COVID-19 die Schulen geschlossen wurden. Um die erzielten Erfolge nicht zu gefährden, weitete das GIZ-Programm für sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte von Jugendlichen seine bestehende Kampagne auf die sozialen Medien aus. Das Ziel war, so viele Menschen wie möglich virtuell zu erreichen. Hierfür war die Kooperation mit einer lokalen prominenten Influencerin entscheidend.
Die Zusammenarbeit mit Prominenten für Menschenrechtskampagnen ist keine neue Idee: Angelina Jolie ist UNHCR-Sondergesandte und Richard Gere setzt sich für die Rechte des tibetischen Volkes ein. In Nepal ist die Zusammenarbeit mit Influencer*innen allerdings noch ein neues Konzept. „Die Ziele und Vorteile lokaler und internationaler Influencer*innen sind unterschiedlich“, sagt Tabea Seiz, Beraterin der GIZ im Sekretariat der MHM Partner‘s Alliance. „Internationale Multiplikator*innen sind wertvoll, um das Bewusstsein weltweit zu schärfen und Spenden zu sammeln. Wirkliche Verhaltensänderungen werden eher von lokalen Personen beeinflusst, weil die Menschen sie kennen und ihnen vertrauen.“
Zur Person: Keki Adhikari
Das Projektteam wandte sich an Keki Adhikari, eine bekannte und angesehene nepalesische Schauspielerin mit einer großen Fan-Gemeinde in den sozialen Medien. Rund 1,3 Millionen Menschen folgen ihr – sowohl in der Stadt als auch auf dem Land (bei einer Bevölkerung von etwa 30 Millionen). Keki hat in zahlreichen Musikvideos, Fernsehshows, Werbespots, Printanzeigen und mehr als einem Dutzend nepalesischer Filme mitgewirkt, darunter „Love Sasha“ und „Ghampani“. Sie hat außerdem einen MBA-Abschluss in Personalmanagement von der KFA Business School in Kathmandu und einen BA-Abschluss in Informationsmanagement.
„Ich war sehr erfreut und überrascht, als die GIZ mich bat, an diesem Projekt mitzuwirken“, sagt Keki Adhikari. „Ich wollte meiner Gemeinschaft etwas zurückgeben und es war eine gute Lernerfahrung. Ich habe viele Mädchen getroffen und etwas über ihre Realität erfahren. Es ist schmerzlich zu hören, dass viele Mädchen und Frauen immer noch mit diesen physischen und psychischen Tabus und Herausforderungen konfrontiert sind.“
Passende Influencer*innen zu finden ist der Schlüssel zum Erfolg
Zunächst konnte der Kontakt zu Keki Adhikari aufgrund der COVID-Beschränkungen nur virtuell stattfinden. Als sich diese lockerten, traf sich das Team mit ihr und reiste drei Wochen lang in ländliche Gebiete, um den Film „Tackling Taboos“ und kurze Social-Media-Clips zu drehen. Inhalte waren hier zum Beispiel, wie Binden hergestellt werden oder weshalb angemessene Toiletten für Mädchen unbedingt gebraucht werden.
Für den Erfolg einer Kampagne sei es entscheidend, eine Person zu finden, die als Botschafter*in oder Influencer* respektiert wird, sagt Tabea Seiz: „Es ist wichtig, ihnen die Freiheit zu geben, ihre Stimme zu nutzen und ihnen zu vertrauen.“ Die Dreharbeiten verliefen weitgehend ohne Drehbuch, so dass Keki die Möglichkeit hatte, die Mädchen über ihre eigenen Erfahrungen zu befragen. Dabei entstand so viel Filmmaterial, dass es einen zweiten Film geben soll.
„Wir sind sehr stolz auf Keki“, sagt Sami Pande. „Sie hat sich mit den Mädchen, mit denen sie gesprochen hat, einfach auf den Boden gesetzt. Sie hat ihr Vertrauen gewonnen, und konnte über Themen sprechen, über die offene Gespräche sonst wirklich schwierig sind.“
Kulturelle Sensibilitäten respektieren
Obwohl das Bewusstsein für diese Themen bei jüngeren Menschen wächst, sind die älteren Generationen – vor allem in ländlichen Gebieten – oft verschlossener und es ist schwieriger, sie zu überzeugen. Angesichts dieser tief verwurzelten kulturellen Sensibilitäten und Tabus in Bezug auf die Menstruation muss jede Kampagne sorgfältig durchdacht werden. Sie sollte nicht als von außen aufgezwungen, sondern als Impuls wahrgenommen werden, der sich in Nepal selbst entwickelt hat. Ohne diese lokale „Ownership“ sei es schwierig, solche Kampagnen durchzuführen, betont die Entwicklungsberaterin Tabea Seiz.
Jan Schlenk, Berater für WASH bei der GIZ, sieht dies ähnlich: „Wir müssen mit den Menschen vor Ort und lokalen Influencer*innen zusammenarbeiten, dürfen es aber nicht übertreiben, denn das könnte ansonsten nach hinten losgehen.“
Und wie sieht Keki selbst dies? „Wir haben sehr darauf geachtet, religiöse, soziale und psychologische Sensibilitäten zu respektieren“, sagt sie. „Wir wollen die älteren Generationen und religiösen Führer*innen nicht beleidigen. Aber die Mädchen können sich mit mir identifizieren, weil sie mich im Fernsehen und in Filmen gesehen haben. Ich muss meine Stimme erheben, in den sozialen Medien und darüber hinaus, um unsere Botschaften zu diesen sensiblen Themen zu verbreiten. Die Menschen hören mir zu, weil ich bekannt bin und Glaubwürdigkeit besitze.“
Welche Wirkung hat die Kampagne?
Die Filme und die breit angelegte Kampagne in den sozialen Medien wurden sehr positiv aufgenommen. Der Film wurde über 500.000 Mal angesehen (über 200.000 Mal auf Facebook) und erhielt 30.000 Reaktionen oder „Likes“. „Die Leute nehmen mich ernst und die Kampagne hat sehr gut funktioniert“, sagt Keki. „Sie verändert tatsächlich die Sichtweise der Menschen auf Menstruationsthemen.“
Hier sind einige der Reaktionen auf den Film, aus Nepal und auch von außerhalb:
„Ja, wir respektieren Schauspieler*innen wie sie, wenn Sie über Themen von öffentlichem Interesse sprechen.„
Damber Kharel
„Das ist erstaunlich! Heutzutage ist es auch für junge Menschen einfacher, über die Periode zu sprechen. Dank dieser Fürsprache! Tolle Arbeit!!!“
Akriti Shrestha
„Ich erinnere mich an meine Teenagerjahre in meinem ländlichen Dorf in Kipsaina in Kenia. Gott bewahre, dass Sie ihre Periode nicht bekommen… Sie würden zum Gespött der ganzen Schule werden. Ich erinnere mich, als ich zum ersten Mal meine Periode hatte und feststellte, dass die Damenbinden zu teuer waren. Die einzige Möglichkeit, die mir blieb, waren Lumpen aus alter Kleidung…. Nepal mag tausende von Kilometern von meinem Dorf in Kenia entfernt sein, aber die Erfahrungen vieler Mädchen mit der Menstruation sind es nicht. An der Menstruation ist nichts Unreines oder Unsauberes. Im Gegenteil, sie ist das größte Geschenk Gottes!“
Brenda Mbaja
„Vielen Dank für den Film über dieses sensible Thema. Er sollte jedes Mädchen (und auch jeden Jungen!!!) in Nepal und Indien erreichen – sogar jedes Mädchen und jeden Jungen in der Welt, in der man immer noch denkt, dass Menstruation ein Tabu ist. Bitte zeigen Sie der Welt, dass dies eine natürliche Sache ist, die in jedem weiblichen Körper passiert.“
Lhak Tsam
„[Die Kampagne] hat den gesellschaftlichen Diskurs über diese Themen in den sozialen Medien eröffnet und die öffentliche Diskussion über Dinge angekurbelt, die zuvor tabu waren“, sagt Tabea Seiz und fügt hinzu, dass es Zeit und einen schrittweisen Ansatz braucht, um bei solch sensiblen Themen nachhaltige Wirkungen zu erzielen.
Kampagnen gegen Menstruationstabus mit Influencer*innen in anderen Ländern
Jan Schlenk hat erkannt, wie mächtig prominente Kampagnenmacher*innen sein können. In enger Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsprogramm in Nepal ermutigt er nun andere Länder, diesen Ansatz zu übernehmen – zuletzt in Albanien, wo die von der GIZ unterstützte #LetsTalkPeriod-Kampagne mit Fatma Haxhialiu zusammenarbeitet, einer lokalen Influencerin mit 240.000 Follower*innen auf Instagram (eine beachtliche Anzahl in einem Land mit nur 2,9 Millionen Einwohner*innen). Ein kurzer Videoclip, den sie auf Instagram gepostet hat, ging bereits am ersten Tag mit fast 4.000 „Likes“ viral. Zudem hat sie viele Nachrichten von Frauen und Mädchen erhalten, die ihr ihre – meist negativen – Erfahrungen mit der Menstruation mitgeteilt haben.
Auf den Philippinen hat die ehemalige „Miss Universe“ Pia Wurtzbach, die allein auf Instagram 13,5 Millionen Follower*innen hat, letztes Jahr mit Unterstützung des Fit for School-Programms der GIZ für das Bildungsministerium ein MHM-Aufklärungsvideo gedreht. Pia Wurtzbach engagiert sich auch als Botschafterin des guten Willens und wird eine 12-monatige Kampagne in den sozialen Medien starten, die am diesjährigen Tag der Menstruationshygiene beginnt.
Der Erfolg der nepalesischen Kampagne und ihre Strahlkraft in andere Länder, so Jan Schlenk, passe sehr gut zu den ehrgeizigen Zielen der neuen deutschen Regierungskoalition für die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Rechte, Ressourcen und Vertretung von Frauen und Mädchen weltweit durch ihren Fokus auf eine „feministische“ Außen- und Entwicklungspolitik.
„Der Wandel wird nicht über Nacht geschehen“
Unabhängig davon, ob sie im Mai beim WHO-Filmfestival „Gesundheit für alle“ gewinnen oder nicht, freuen sich Keki Adhikari und das GIZ-Team sowie das nepalesische Produktionsteam, dass „Tackling Taboos“ in die engere Wahl für diesen Preis gekommen ist. Sie sind zuversichtlich, dass der Film zusammen mit der breit angelegten Social-Media-Kampagne dazu beitragen wird, zahlreichen Menschen bewusst zu machen, mit welch tief verwurzelten Tabus hinsichtlich Menstruationsgesundheit und -hygiene zu viele Mädchen und Frauen auf der ganzen Welt immer noch konfrontiert sind.
„Der Wandel wird nicht über Nacht geschehen“, sagt Keki Adhikari. „Aber wenn unser Film ein klein wenig dazu beiträgt, dass die Menschen veraltete Denkweisen hinter sich lassen, war es das wert.“
Ruth Evans
Mai 2022